Ich war aufgeregt bevor ich Mamie getroffen haben. Und ich bin selten aufgeregt. Aber ich wollte nichts falsch machen, keine blöden Fragen stellen, ihr den nötigen und gebührenden Respekt entgegenbringen und ein netter Besuch sein, an den sie sich gerne zurückerinnert. Mamie ist eine der vielen über Hunderjährigen, die es auf Dominica gibt. Ich wollte schon immer einmal so eine Frau treffen, die so unglaublich viel erlebt und zu erzählen hat.
Mit meinem Fahrer Oris machte ich mich auf den Weg zu ihr, zu dem Altersheim, in dem sie wohnt. Schon das gesehen zu haben ist unvergesslich. Als wir den großen Schlafsaal betreten, in dem mindestens acht Betten stehen, fällt sie mir sofort auf mit ihrem knallroten Kleid und den großen Perlenohrringen. Hübsch sieht sie aus und ich beneide sie um das schöne Kleid.
Ich stelle mich vor, versuche die erste Frage zu stellen und merke schnell, wo meine Grenze liegt – ich spreche kein Kreolisch. Zwar können alle auf der Insel Englisch, aber Mamie spricht eine Mischung aus Englisch und Kreolisch. Einige Fetzen verstehe ich, viel jedoch nicht, so wird Oris mein persönlicher Übersetzer. Ich frage sie nach ihrem Lebenslauf und sie erzählt mir von einer Zeit, in der es noch Schilling gab. Als sie umgerechnet 1,25 Dollar die Woche als Hausangestellte verdiente und von einer Zeit, in der es das Wort Hurrikan noch nicht gab und ihre Mutter immer meinte, da kommt ein starker Wind …
Es wird ja immer behauptet, dass die Ernährung bei so einem hohem Alter eine große Rolle spielt, also wollte ich auch wissen, was ihr Lieblingsessen ist: Rote Bohnen mit gesalzener Schweinsnase. Na, Mahlzeit. Also wenn es das braucht, um über 100 Jahre alt zu werden, dann bin ich raus.
Mamie hat sehr jung einen Sohn bekommen. Ihr Verehrer hat sie immer an der Schule besucht. Er hatte jedoch schon eine Frau und drei Kinder – von drei unterschiedlichen Frauen. Sie hatte damals Angst ihn zu küssen. Vielleicht weil sie wusste, was passiert. Es blieb natürlich nicht beim Küssen und Mamie wurde schwanger von ihm. Geheiratet hat sie jedoch einen anderen Mann.
Ich habe mir vorher alle diese hoch philosophischen Fragen überlegt, die man gerne von einer 100-jährigen beantwortet haben möchte: Welchen Ratschlag würdest du den jungen Leuten geben? Wie bist du so alt geworden? Was war die Erkenntnis deines Lebens? Ich habe meine Antworten auch bekommen, aber in Form von Erinnerungen.
Als ich Mamie fragte, welche Zeit für sie am schönsten war, erzählte sie vom Tanzen. Sie liebte es zu tanzen aber nur mit ordentlichen Männern, die keinen Alkohol tranken oder nicht rauchten. In der letzten Runde durften sich immer die Männer die Tanzpartnerin aussuchen und sie hoffte, dass irgendwann einer der wohlhabenderen sie auffordern würde. Einer hatte auch mal Interesse, doch er hatte Mamie zu viele andere Freundinnen, da war sie eigen.
Auf die Frage, welche Zeit im Leben sehr schwer war, antwortete sie mit der Geschichte über die Taufe ihres Sohnes. Es war damals so üblich, dass die Kinder eines verheirateten Paars an einem heiligen Sonntag getauft wurden und die eines unverheirateten Paars an einem Montag. Mamies Sohn wurde an einem Montag getauft und ich kann nachvollziehen, wie es sich angefühlt hat so „abgestempelt“ zu werden. Sie erzählt viel von Menschen, die gestorben sind, die sie alle überlebt hat und von ihrem Sohn, der zwar in England wohnt, sich aber finanziell um sie kümmert, so wie die Tochter ihres Neffen.
Mamie selbst hat Dominica nie verlassen. Sie erzählt viel und schwelgt in Erinnerungen und dachte wohl die ganze Zeit, dass ich und mein Fahrer zusammen sind. Gerade als ich aufgestanden bin, um ein Foto von ihr zu machen, haut sie den Hammerspruch raus. Alle haben gelacht. Sie, Oris, die Pflegerin – nur ich habe kein Wort verstanden. Oris war so nett und hat es mir dann übersetzt. Sie meinte, ich habe große Schenkel, da könnte man gut dran „rumspielen.“ Bitte was? Hat das gerade eine Hundertjährige zu mir gesagt? So einen Bemerkung hätte ich nicht erwartet.
Ja ja, Mamie ist nicht alt, sie ist wachsam. Und dann lag doch noch diese eine Frage auf meinem Herzen, wo glaube ich jeder eine Antwort drauf haben möchte: Was ist das Wichtigste im Leben? „That you are happy with your family“. Das war glaube ich der einzige Satz, den sie auf Englisch ohne kreolische Wörter gesagt und ich verstanden habe. Kein Erfolg, kein Geld, kein Ruhm der Welt kann das ersetzen. Es wird Zeit mich zu verabschieden. Ich reiche Mamie meine Hand, bekomme einen Handkuss und ein paar liebe Worte.
Ich hatte am Anfang Angst, dass mich das Altersheim und die Stimmung irgendwie bedrücken wird, doch ganz im Gegenteil. Auch wenn Mamie auf meine Fragen nach dem Sinn des Lebens und wie man das Glück findet, keine richtige Antwort gab, habe ich gemerkt, dass sie in Erinnerungen spricht und denkt – und das ist doch wunderschön. Das ist es doch, was all die tollen Sprüche und Weisheiten immer sagen „Collect moments not things“ oder „Lebe den Moment“. Das sind keine blöden Sprüche, sondern nichts als die Wahrheit, wie mir Mamie gezeigt hat.
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